Welt am Sonntag (WAMS) vom 16.05.2004

Hochhaus-Duell in der SPD

Wie hoch darf München hinaus? Der ehemalige Oberbürgermeister Georg Kronawitter zwingt Amtsinhaber Ude eine Planungsdebatte auf

von Peter Issig

Don Quichotte oder Volkstribun? Münchens Ex-Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) hat mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit und Raffinesse München die neue Auflage einer stadtplanerischen Grundsatzdebatte aufgedrückt: Der 76-Jährige kämpft gegen neue Hochhäuser. Ein tragikomischer Kampf gegen Windmühlen oder ein Exempel für populäre Politik? Kronawitter und die "Initiative-Unser-München" sammeln jedenfalls fleißig und erfolgreich Unterschriften für einen Bürgerentscheid. Kommende Woche will er Zwischenbilanz ziehen. Nach einem Monat hat er mehr als ein Drittel der notwendigen 27 000 Unterschriften zusammen. "Ich denke, dass wir vor der großen Sommerpause die Vorbereitungen abschließen können." Widerwillig rechnet auch seine Partei damit, dass es zum Bürgerentscheid kommt. Beunruhigt wischt die SPD dabei den Gedanken zur Seite, dass Oberbürgermeister Christian Ude eine Niederlage kassieren könnte. Denn trotz ihres heftigen Widerstands gegen das Kronawitter-Projekt spüren sie Gegenwind. "An unseren Infoständen habe ich über Stunden hinweg den unmittelbaren Bezug, die unmittelbare Begegnung mit den Münchnern. Nach hunderten von Gesprächen weiß man Bescheid, was die Münchner denken. Dieser unmittelbare Bezug zur Bevölkerung ist und war letztlich das Geheimnis meiner Erfolge", sagt Kronawitter und es ist klar, dass er damit den Unterschied zu seiner Partei betont. Vor allem die "eingsessnen Münchner" würden ihn unterstützen, "weil die 150 Meter hohen Klötze einfach nicht zu München passen". Gleichgültig wie das Bürgerbegehren ausgeht, die Kampagne bringt Unwägbarkeiten für drei geplante Hochhaus-Projekte: Den neuen Siemens-Stadtteil Isar-Süd mit zwei Türmen bis 148 Meter Höhe, den Neubau der Hauptverwaltung des Süddeutschen Verlags in Zamdorf mit einem 145-Meter-Turm und das Entwicklungsgebiet Am Hirschgarten in Nymphenburg mit vier Hochhäusern. Jedes Projekt ist Kronawitter ein Dorn im Auge, weil sie sich in vertraute Sicht-Achsen schieben oder das Postkarten-Panorama mit der Alpenkette hinter dem Stadtbild zerstören. "Das Ziel des Bürgerbegehrens ist, dass München keine 08/15-Hochhausstadt wird, wie es sie weltweit tausendfach schon gibt. München soll seine Identität und seine Unverwechselbarkeit bewahren. Dies ist aber in Gefahr." Allerdings sind in den vergangenen Jahren einige Hochhäuser entstanden: Am Georg-Brauchle-Ring der 146 Meter hohe Uptown-Turm. In der vergangenen Woche feierte man am Münchner Tor in Freimann Richtfest. Daneben wächst das Doppel-Hochhaus von Langenscheidt. Dass seine Protestaktion deshalb eigentlich zu spät kommt, glaubt Kronawitter nicht. "Vor drei, vier Jahren stand ich noch auf einsamer Ebene. Leider sind die Münchner erst aufgeschreckt, als die ersten nicht mehr hinnehmbaren Verschandelungen sichtbar geworden sind." Für Kronawitter vor allem der "Vierkantbolzen" neben dem Olympiagelände und die Doppelscheibe des Stararchitekten Jahn in Freimann, "die das Siegestor förmlich erschlagen und die einmalige Ludwigstraße zerstören". Jetzt gelte es weitere Sündenfälle, sieben neue Türme, zu verhindern. Und selbst wenig attraktive Stadtteile wie Zamdorf könne man mit Hochhäusern verschandeln. "Das SZ-Gebäude steht deutlich sichtbar vier Kilometer vom Dom entfernt. Da passt doch kein rechteckiger Bolzen hin!", empört er sich. Kronawitter zitiert genüsslich Experten, wenn es darum geht, die Stadtplanungspolitik von Rot-Grün unter seinem "Wunschnachfolger" Ude zu kritisieren. So beruft er sich auf das Urteil des Star-Architekten Stephan Braunfels zum Uptown-Gebäude: "Zu hoch, zu dick und gesichtslose Meterware." Und der Ex-Oberbürgermeister verwahrt sich gegen den Eindruck, blinder Bilderstürmer zu sein. 25 Jahre lang habe die Richtlinie "kein Gebäude über der 99-Meter-Marke der Marienkirche" gehalten. "Der Einzige, der dagegen verstoßen hat, war ich doch selbst." Bei der 114 Meter hohen Zentrale der Hypo-Vereinsbank am Effnerplatz. Ein "wunderschönes", architektonisch gelungenes Haus. Kronawitter will auch kein Investorenschreck sein, wie ihm Münchens SPD-Chef Franz Maget vorgeworfen hatte. "Die Siemensgebäude in Neuperlach halte ich für eine der schönsten Anlagen in der Stadt." Magets Vorwürfe seien "Quatsch. So niveaulos darf man nicht daherreden". Warum sein ehemaliger Mitstreiter Ude seine Haltung zum Hochhausbau geändert hat, kann sich Kronawitter nicht erklären. Zumal auch ökonomische Fakten für einen Baustopp sprächen. Schon jetzt stünden im Raum München 1,7 Millionen Quadratmeter Bürofläche leer, genug für 80 000 Büroarbeitsplätze. Aber Kronawitter hatte noch nie Probleme, sich überall Verbündete zu suchen. Zu seinen Mitstreitern gehören der linke SPD-Abgeordnete Ludwig Wörner, der ehemalige Kommunalreferent Georg Welsch (Grüne) oder der langjährige Vorsitzende des Landesdenkmalrates Erich Schosser (CSU), sowie die "Initiative Münchner Architektur und Kultur" mit Karl Hofmann und Anita Noeske oder der legendären "Biergartenrevolution" von 1995. Jetzt will Kronawitter die Initiative vergrößern und schlagkräftiger machen. Es kümmert ihn nicht, ob das der SPD schadet. "Zuerst kommt die Stadt, dann die Partei-Loyalität. Das war bei mir immer so. Es ist ein Unterschied, ob man sich zusammenballt in der Parteizentrale und einstimmig etwas beschließt oder ob man zum Bürger geht, wie ich. Deswegen gewinnen wir."

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