Die Welt vom 10.03.2004

München fühlt sich gehörnt

Streit um Hochhäuser heizt das politische Klima in der bayerischen Landeshauptstadt an

München - Hochhäuser - ja oder nein? Der alte deutsche Streit, vor 80 Jahren von den damaligen Größen der Architekturszene Bruno Taut und Walter Gropius mit Erbitterung ausgefochten, ist in München in aller Schärfe neu aufgeflammt. Erst vor wenigen Jahren schien er für alle Zeiten beigelegt: Damals musste ein Kaufhausturm an der Münchner Freiheit fallen, weil er die berühmte Perspektive der Ludwigstraße aus dem Lot brachte. Jetzt sehen Kritiker die prominente Sichtachse erneut in Gefahr. Als Exponenten des Streits agieren zwei SPD-Politiker: Altbürgermeister Georg Kronawitter, der die jüngste Kreation, das metallisch glänzende Bauwerk der Hines Immobilien GmbH am Georg-Brauchle-Ring mit dem neudeutschen Namen "Uptown München", respektlos einen "Vierkantbolzen" schimpft, und der amtierende OB Christian Ude. Der polterte dieser Tage in einer Podiumsdiskussion: "München muss doch nicht für ewig wie das mittelalterliche Rothenburg ob der Tauber aussehen." Von Versöhnungsbereitschaft wollen beide nichts wissen. Kronawitter strebt ein Bürgerbegehren an. Ude kontert patzig: "Wer es probieren will, kann es gern tun." Was den Alt-Bürgermeister in Rage bringt, das ist vor allem das regellose Wuchern der Türme unter seinem Amtsnachfolger. Denn "Uptown" steht nicht allein. Der Bau repräsentiert eine ganze Generation neuer gertenschlanker, fülliger, gedoppelter und massiger Turmbauten, die urplötzlich in die Stadtsilhouette drängen - laut Kronawitter "an beliebigen Stellen, in beliebiger Höhe, von beliebiger Architekturqualität". Tatsächlich hat "Uptown", das mit 146 Metern "höchste Haus Bayerns" (Architekt: Christoph Ingenhoven, Düsseldorf), schon jetzt eine Vielzahl "Geschwister". An der Schenkendorfstraße wächst neben dem Turm der Münchner Rück (Architekten Allmann, Sattler, Wappner) ein 116 Meter hoher Doppelturm des Stararchitekten Helmut Jahn heran. Auf der Theresienhöhe hat der soeben verstorbene Architekt Otto Steidle ein Wohnhochhaus errichtet. Im Neubaugebiet an der Bahnstrecke Pasing-Laim ist ein ganzes "Kleeblatt" von vier Türmen geplant. Doch so mancher der vielfach hunderte Millionen Euro teuren Gebäuderiesen ist offenkundig ohne sonderliche Rücksicht auf städtische Sichtbeziehungen konzipiert. TU-Architekturprofessor Wilhelm Kücker zürnt denn auch: "Die Türme stören überall, sie integrieren sich nicht ins Stadtbild." Und so schont der Altmeister und frühere BDA-Präsident auch den berühmten Kollegen aus Amerika nicht, weil dessen filigraner Zwillingsturm in die eben erst gerettete Sichtachse der Ludwigstraße ragt. Er könne nicht verstehen, wie München mit seinem städtebaulichen Gut so leichtfertig umgehe - ein "Münchner Skandal", wie die Süddeutsche Zeitung kommentiert: "Ein funktional wie ästhetisch missglücktes Doppelhochhaus am Mittleren Ring schiebt sich in die stadträumliche Vision des Klassizismus und setzt dem Friedensmahnmal in der Maxvorstadt Hörner auf." Der Streit erinnert an so manchen Zwist, der auch in Deutschlands Hochhaushochburg Frankfurt/Main ausgetragen wurde. Dort freilich hat man schon vor Jahrzehnten die Konsequenz gezogen und verbindliche "Hochhauspläne" aufgestellt. Danach wird die Innenstadt in weitem Umkreis um den Kaiserdom von Hochhäusern strikt freigehalten. Einzeln stehende Bürotürme sind verpönt. Der jüngste Leitplan, erstellt vom Architekturbüro Jourdan & Müller, schreibt stattdessen "Hochhauscluster" vor. Zu Deutsch: Im modernen Hochhausbau setzt man zumindest in der Modellstadt Frankfurt auf Familienpolitik. Singles haben keine Chance. gur.

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