Importierter Immitationsarchitektur

Leserbrief zur Hochhausdiskussion in der Ausgabe vom 11.08.2004:

Aufgrund eines Überblicks über zwei Generationen Münchner Bauentwicklung ist Alt-OB Kronawitter zu seinem Alarmruf vor der Hochhausmanie geradezu legitimiert. Hochhäuser sind nicht die Stilform des 21. Jahrhunderts, sondern eine importierte Imitationsarchitektur aus dem 19. und 20 Jahrhundert mit jetzt nur noch verrückteren Auswucherungen. Städtebauliche, ökologische, massenpsychologische und finanzielle Gründe sprechen gegen sie.

Natürlich machen zum Himmel gestreckte Hochhausfinger, Zylinder, Klötze und Pyramiden mit ihrer spiegelnden Glashaut und gleißenden Metallhülle auf Besucher einen faszinierenden Eindruck. Dauernd in oder unter ihnen leben oder arbeiten möchte aber die meisten nicht.

Hochhäuser, meist umgeben von hingeworfenen Bauklötze aller Art, steigern in der Anonymität der Großstadt das Gefühl von Winzigkeit, Ohnmacht und Verlorenheit; daher auch in der Zeit der Globalisierung nach Arbeitsschluss und am Wochenende den Ameisenzug in die überschaubare und kleinräumige Vertrautheit der zur Heimat gewordenen Umlandorte !

München einst fein gegliederte Silhouette ist bereits durch mächtige Gebäuderiegel vorgeschädigt. Im Trend zur High-Tech-Community wittern jetzt Stararchitekten, kapitalstarke auswärtige Großinvestoren und Stadtplanungsideologen Morgenluft. Die Projekte überschlagen sich in Form, Höhe und Standorte. Ihre Argumente, dass damit jeweils neue städtebauliche Akzente gesetzt würden, waren bisher stets das Signal, die Silhouette an einer weiteren Stelle aufzureißen. Die Werkstoffe Stahl, Aluminium, Beton, Glas, Kunststoff und ihre in Silber, Grau und Schwarz spiegelnden Fassaden verpassen München ein 08/15-Einheitsgesicht.

Hochhäuser strahlen Glanz, aber nicht Wärme aus. Unsere Städte würden kälter. Das Farbenspiel würde armseliger; innen Fen-Shui-Farben, außen Eintönigkeit. Die Behauptung, Hochhäuser entsprechen dem modernen Lebensgefühl, ist falsch. Die Besucher Münchens fragen nicht nach dem kürzesten Weg nach Neuperlach, sondern in die Altstadt. Es sit entlarvend, dass viele Hochhauspropagandisten nicht aus Bayern stammen, den Panoramablick anpreisen, selbst am Tegern- oder Starnberger See wohnen und in ihren Zimmern Bilder vom Malerwinkel in Rottach-Eggern aufhängen.

Die Reste der einheimischen Bevölkerung und feinfühlige Münchenfreunde sollten sich durch Totschlagformeln wie „kleinkariert“ oder „provinziell“ nicht einschüchtern oder diffamieren lassen und nach den Kriegs – und Nachkriegszerstörung eine 3. Zerstörung unsres Lebensumfeldes und der beliebtesten Stadt Deutschland hinnehmen. Wer den Blick hinauf zu den Wolkenkratzern Sydneys, Chicagos usw. zu seiner geistigen Orientierung bräuchte, verriete eine tiefes Niveau.

 

Dr. Walter Spaeth, München

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